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Schmerzensgeld im Reiserecht
Überlegungen zur geplanten Schadensrechtsreform

von Prof. Dr. Armin Willingmann

I. Einleitung

Das deutsche Recht kennt keinen Schmerz“ – unter dieser durchaus polemischen Überschrift erschien im März 2001 ein Artikel in der Süddeutschen Zeitung, der die Thematik der Schadensabwicklung nach dem Bahn-Unglück von Eschede aufgriff und zugleich an die DGfR-Veranstaltung auf der ITB 2001 anknüpfte.

Einmal mehr wurde auf diese plakative Weise einer über die Fachwelt hinaus gehen­den Öffentlichkeit gezeigt, dass das deutsche Recht im Bereich des Ersatzes für immate­rielle Schäden – nicht nur aus Sicht juristischer Laien – Lücken aufweist. Es hat den Anschein, als sei diese Problematik, die keineswegs neu ist, erst durch verschiedene Großschadensereignisse der jüngeren Vergangenheit[1] sowie das zähe Beharrungsvermö­gen der deutschen Verkehrsjuristen wieder auf die rechtspolitische Agenda gekommen. Und so ist es kaum verwunderlich, dass das in dieser Legislaturperiode außerordentlich reformfreudige Bundesjustizministerium neben der Schuldrechts- und ZPO-Reform auch das Schadensersatzrecht und damit die Schmerzensgeldfrage in den Blick genom­men hat. Herausgekommen ist der Entwurf eines Zweiten Schadensersatzrechtsände­rungsgesetzes, dessen Diskussion bedauerlicherweise durch die anderen, weiter rei­chenden Reformprojekte in den Hintergrund gedrängt wurde.

Nachdem nun aber die beiden großen Reformprojekte beschlossene Sache sind und zum 1.1.2002 in Kraft treten, ist der Blick wieder frei für diese weitere Novelle, deren Auswirkungen auf das Reiserecht hier kurz erläutert werden sollen.

Schmerzensgeld im Reiserecht – das war bislang kein besonderes Thema. Wie über­haupt die Diskussion von Immaterialersatzansprüchen im deutschen Recht keinen aus­gesprochen hohen Stellenwert hat. Einer Masse von Rechtsstreitigkeiten, in erster Linie aus dem Kfz-Haftpflichtbereich, steht ein Bearbeitung gegenüber.[2] Gelegentliche Anläufe durch den Deutschen Juristentag,[3] den Verkehrsgerichtstag[4] oder sogar den Gesetzgeber verliefen durchweg im Sande.

Dies hat sich im Gefolge der allseits bekannten Großschäden der jüngeren Vergan­genheit geändert. Nach Eschede, Brühl, Paris-Gonesse (Concorde) und Kaprun hat eine von der Presse begleitete – mitunter auch angestachelte – Diskussion über das deutsche (und österreichische) Schadensersatz-, insbesondere Schmerzensgeldrecht eingesetzt, die nun die politischen Bemühungen wieder in Gang gesetzt hat und auch die Wissen­schaft zu einer kritischen Auseinandersetzung zwingt.

Vor dem Hintergrund geradezu explodierender Schmerzensgeldforderungen, deren Geltendmachung im Inland von den Prozessbevollmächtigten der Anspruchsteller ver­ständlicherweise nurmehr als eine Variante in Erwägung gezogen wird, hat die Diskus­sion um das so genannte forum shopping eingesetzt. Kaum ein Schadensereignis in Eu­ropa, in dem nicht die Opfervertreter die „amerikanische Karte“ ziehen und die Klager­hebung in den USA androhen. Diese Drohkulisse wird inzwischen geradezu schema­tisch aufgebaut, scheint zu den Ritualen der Abwicklung zu gehören und verliert da­durch ein wenig an Schrecken. Gleichwohl reagiert die Öffentlichkeit sofort; wir mer­ken dies heutzutage übrigens zuerst am Aktienkurs betroffener Unternehmen. Die Kurs­entwicklung der Bayer-Papiere nach den ersten Lipobay-Meldungen ist ein typisches Beispiel für diese Entwicklung. Und ganz aktuell sei auf die Kursentwicklung der Münchner Rück – dem Rückversicherer in der Katastrophe von New York – hingewie­sen, bei dem wir ein ähnliches Phänomen konstatieren können.

Mögen auch die Erfolgsaussichten der USA-Option im konkreten Einzelfall gering sein, weil die Berührungspunkte zu dieser Rechtsordnung schlicht nicht ausreichen – ein Aspekt, dem manche Opferanwälte durch die Verlockung medienwirksamer Auftritte kaum Bedeutung beimessen -, so heben derlei Drohungen die Verhandlungsbereitschaft der vermeintlichen Schädiger ungemein. Dies gilt für alle Branchen – die der Reisever­anstalter ist allerdings wegen ihrer Internationalität, der Auslandsberührungen wie auch der von ihr eingeschalteten Transportmedien in besonderer Weise von den Risiken komplexer Schadensereignisse betroffen.

II. Die – untergeordneten – Bedeutung des Schmerzensgeldanspruchs

Schmerzensgeldansprüche von Reisenden werden bislang in der Veranstalterbranche, bei Justitiaren, Rechtsanwälten und Gerichten gleichsam als Annex betrachtet; gleich­sam e verhältnismäßig schmale wissenschaftliche nach dem Motto: „Unter Umständen gibt es auch noch ein paar Mark Schmerzens­geld“ wird in Fällen mit Personenschäden die Erwägung angestellt, ob der Veranstalter oder ein Leistungsträger aus deliktischen Normen haftet. Für den Reisenden sind dabei verständlicherweise die nach deutschem Recht im Inland einzuklagenden Beträge von Interesse, wollen sich doch die allermeisten Betroffenen kaum auf das Wagnis eines Auslandsrechtsstreits gegen den unter Umständen deliktisch haftenden Leistungsträger jenseits deutscher Grenzen einlassen.

Die Schmerzensgeld-Überlegungen bewegten sich bislang in den bekannten Bahnen der Ansprüche aus §§ 823 ff., 847 BGB, deren Voraussetzungen hier nicht darzulegen sind. Seit seinem Erlass verknüpft das BGB die Möglichkeit des Schmerzensgeldes mit dem Eingreifen deliktischer Haftung, bedarf es also einer schuldhaften unerlaubten Handlung, um Immaterialersatz zusprechen zu können.[5] Zwei schlanke Regeln des BGB (§§ 847, 253) haben diesen Rahmen für alle Rechtsgebiete abgesteckt.

1. Bezugspunkt zum Reiserecht: Die Balkonsturz-Entscheidung des BGH

Für das Reiserecht hat eigentlich erst die Balkonsturz-Entscheidung des BGH aus dem Jahre 1988 Veranstalter wie Kunden aufhorchen lassen und die weitere Schmer­zensgeld-Rechtsprechung geprägt.[6] Der BGH hatte seinerzeit bekanntlich den ansonsten gerne gewählten Ausweg der Exkulpation des Veranstalters für Verrichtungsgehilfen verstellt und zugleich eine – für deutsche Verhältnisse – strenge Verantwortlichkeit des Veranstalters für die Verkehrssicherheit der von ihm angebotenen Objekte Dritter ange­nommen; auf diese Weise wurde – wie Führich zutreffend schreibt[7] – quasi eine delikti­sche Garantiehaftung begründet. Die Haftung des Veranstalters stützt sich dabei auf ein eigenes Verschulden des Managements, das entweder in der Verletzung von Kontroll­pflichten oder im unterlassenen Einschreiten bei Mängeln liegt. Das Urteil ist bis heute umstritten geblieben; auch aus dem Kreise der DGfR wurde mit respektablen Argu­menten dagegen gehalten[8] und die Instanz-Judikatur hat die Grenzen für Häufigkeit und Kontrollen durch den Veranstalter erkennbar anders gezogen.[9] Hier spielt das Argument der Zumutbarkeit bekanntlich eine entscheidende Rolle.[10] Maßstab ist heute eine – frei­lich schwer einzukreisende – „Erfüllbarkeit“ der Verkehrssicherungspflichten.

Nun war allerdings der Balkonsturz dieser denkwürdigen Entscheidung ein zwar tra­gisches – freilich nicht tödliches – und auch nur ein singuläres Ereignis. Seine zuzu­gebene Brisanz, die ja auch bis heute anhält, liegt in der Eröffnung deliktischer Ansprü­che gegen den Veranstalter, nicht aber in besonderen Aussagen über Schmerzensgeld und Immaterialforderungen im Reisevertragsrecht.

Die Besonderheit der Entscheidung für die Rechtslage in Deutschland lag in der Gleichstellung der Reiseveranstalter mit anderen Unternehmen, die sich ebenfalls neben einer bestehenden vertraglichen Haftung deliktischen Ansprüchen ausgesetzt sehen. Im akademischen Unterricht erfolgt hierbei immer der Hinweis auf das Bestehen einer An­spruchskonkurrenz. Häufig wird freilich vergessen, Gründe und Folgen dieser Konkur­renz zu nennen.

Das Nebeneinander von Vertrags- und Deliktshaftung in der deutschen Rechtspraxis hat seinen Ursprung in den höchst unterschiedlichen Rechtsfolgen, die die jeweilige Anwendung mit sich bringt. Einer dieser Unterschiede – vielleicht der bislang gewich­tigste – liegt in der Schmerzensgeldfrage, also in der allein auf deliktischer Grundlage möglichen Gewährung von Immaterialersatz.

2. Historische Zurückhaltung im deutschen Recht

Die historische Reserviertheit des deutschen Rechts gegenüber Schmerzensgeldfor­derungen ist oft besprochen worden. Der schlichte Normgehalt und die Begründung in den BGB-Motiven haben hier auf Jahrzehnte Maßstäbe gesetzt. Wirft man einen Blick in eben diese Motive, so ist dort zu lesen, dass das Aufwiegen eines ideellen Schadens dem „modernen deutschen Rechts- und Sittlichkeitsempfinden widerspricht“, zumal dem „in den besseren Volkskreisen vertretenen Anschauungen“. Aus einer Geldentschädi­gung für Immaterialschäden „würden nur die schlechten Elemente Vorteil ziehen, Ge­winnsucht, Eigennutz und Begehrlichkeit würden gesteigert und aus unlauteren Motiven zahlreiche schikanöse Prozesse angestrengt werden“.[11] Die gleichsam seherische Kraft der BGB-Verfasser verblüfft bis heute.

Man darf dabei aber nicht vergessen, dass der Gesetzgeber seinerzeit bereits zwei Fallgruppen des Immaterialersatzes in den Blick nehmen wollte, nämlich das eigentli­che Schmerzensgeld als Ausgleich für körperliches Leid und die – im Grunde durch strafrechtliche Bußregeln erfasste – Persönlichkeitsverletzung, bei der ebenfalls eine finanzielle Entschädigung in Betracht kam.[12] Die in den Motiven genannten Erwägun­gen zielten in erster Linie, aber nicht alleine auf die Geltendmachung von Immaterialer­satz bei diesen Persönlichkeitsverletzungen ab – und wurden vom BGH Anfang der 50er Jahre bekanntlich über Bord geworfen.[13] Ihre Tendenz strahlt aber bis heute ins Schmerzensgeldrecht aus.

Hinzu trat seinerzeit ein Aspekt, der bis heute die Gemüter erhitzt, nämlich der der „Rechenhaftigkeit des Schadensersatzrechts“.[14] Sie zu wahren, wandte man sich gegen ein zu weit reichendes Schätzungsrecht, gar Ermessen des Richters, das ja keiner ober­gerichtlichen Kontrolle zugänglich sei. Diese Zurückhaltung ließ sich seinerzeit durch­aus noch mit Blick auf die Einheit der Rechtsordnung vertreten, standen doch die Buß­vorschriften der §§ 188 ff. RStGB zur Verfügung. Gleichwohl war diese Deutung des Immaterialersatzes schon seinerzeit fragwürdig, schuf doch derselbe Gesetzgeber mit § 847 BGB eine Norm, in der gerade das billige Ermessen des Richters bei der Festset­zung der Entschädigung eingeräumt wurde.

3. Das „Einfalltor“ des Deliktsrecht: § 847 BGB

Nach bislang geltendem Recht führt also lediglich der Weg über das Eingreifen de­liktischer Regeln zum Immaterialersatz, also zum Schmerzensgeld nach § 847 BGB. Weder die Verletzung vertraglicher Verpflichtungen noch eine Verantwortlichkeit aus Gefährdungshaftung heraus eröffnet diese Möglichkeit. Das so auftretende Dilemma führt seit Jahrzehnten zu einer erheblichen Belastung von Justiz und Anwaltschaft. Dies wird deutlich, wenn man erneut einen Blick auf die Praxis der Kfz-Unfallhaftung wirft. Der Gesetzgeber hat dem Geschädigten in diesem Bereich durch die Schaffung eines Anspruchs aus Gefährdungshaftung gegen den Halter ein nicht zu verkennendes Privi­leg eingeräumt. Wird für die Haftung auf Verschulden verzichtet, bedeutet dies eine erheblich erleichterte Prozessführung. Man kann sich schlicht alle Beweislast-Kon­struktionen ersparen, die landläufig bekannt sind. Dieser Vorzug der Kfz-Halterhaftung nach dem StVG wird jedoch um den Preis gewonnen, dass dann auch nur die konkreten materiellen Schäden nach dem StVG ersatzfähig sind. Dazu zählen nach bisheriger Rechtsprechung Schmerzensgeldansprüche wegen der Sperre des § 253 BGB nicht. Dies hat zur Folge, dass der Geschädigte zwangsläufig sein Heil auch in der Verfolgung eines deliktischen Anspruchs gegen den Halter bzw. Fahrer suchen muss. Die mit der Gefährdungshaftung einhergehende Entlastungswirkung verpufft so weithin, müssen doch Anwälte wie Richter stets die Ansprüche aus unerlaubter Handlung ebenfalls prü­fen.

Das Beispiel lässt sich auf einen anderen Bereich übertragen: Vor einigen Wochen fand sich die Lipobay-Affäre in Presse und Rundfunk. Allerorten wurde danach gefragt, inwieweit der Bayer-Konzern für die von ihm produzierten Präparate, die zu erhebli­chen Schäden, bisweilen bis zum Tod des Patienten führen konnten, aufzukommen hat. Lenkt man den Blick zunächst allein auf die durch das Medikament geschädigten Per­sonen, so drängt sich sogleich ebenfalls die Frage nach dem Schmerzensgeld auf. Für die konkreten Schäden gibt es in Deutschland – übrigens als Folge des Contergan-Skan­dals der 60er Jahre – das Arzneimittelgesetz (AMG) mit der Anordnung einer Gefähr­dungshaftung.[15] Nicht erfasst werden davon aber Immaterialersatzansprüche der Ge­schädigten, die dafür ebenfalls auf das allgemeine Recht der unerlaubten Handlungen ausweichen müssen und damit erzwingen, dass das schuldhafte Verhalten des Unter­nehmens festgestellt wird. Ein unbefriedigender Zustand. Wie wird er erklärt?

III. Funktion von Schmerzensgeld

Im Rahmen eines solchen Vortrags lässt sich nur grob umreißen, was die Funktion von Schmerzensgeld sein soll und welche Zwecke ein Gesetzgeber mit der Zubilligung von Ersatzansprüchen für Nichtvermögensschäden verfolgt.

Es war der BGH, der bereits in einer relativ frühen Entscheidung die Doppelfunktion des Schmerzensgeldanspruchs herausgestrichen hat.[16] Das Schmerzensgeld soll dem Geschädigten einen angemessenen Ausgleich für die Schäden bieten, die nicht vermö­gensrechtlicher Art sind – ansonsten greifen ja bereits §§ 249, 251 BGB – und zugleich dem Gedanken der Genugtuung Rechnung tragen. Diese schulde der Schädiger dem Verletzten für das, was er ihm angetan habe.[17]

Gerade diese Genugtuungsfunktion macht das Institut des Schmerzensgeldes in be­sonderer Weise angreifbar. In den stark zunehmenden Fällen der Persönlichkeitsverlet­zung mag diese Legitimation des Schmerzensgeldes noch erforderlich sein; für den Be­reich der Haftpflichtschäden erzeugt er eine geradezu gefährliche Nähe zum Strafrecht und seinen Sanktionszwecken.[18] Das deutsche Zivilrecht legt seit jeher sehr viel Wert auf eine möglichst randscharfe Abgrenzung von Straf- und Zivilrecht und verweigert pönalen Elementen weithin die Anerkennung. Hier liegt ein wesentlicher Unterschied zur US-amerikanischen Rechtskultur.

Exponenten der deutschen Zivilrechtswissenschaft haben mit beachtlichen Argu­menten gegen die Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes Stellung bezogen; be­sonders überzeugend waren dabei meines Erachtens jene Kritiker, die nicht den frucht­losen Versuch einer historischen Auslegung der Norm versuchten, sondern ihre soziolo­gische Problematik aufzuzeigen wussten. So hat Köndgen darauf aufmerksam gemacht, dass das vom BGH so genannte Genugtuungsbedürfnis des Verletzten im Grunde nichts anderes als eine aggressive Reaktion sei, die unsere Gesellschaft – jedenfalls in der Form von Ärger, Wut oder Aggression – grundsätzlich missbillige und deshalb nicht gleichzeitig als Nichtvermögensschaden ausgleichen könne.[19]

An dieser Stelle sei eine persönliche Anmerkung gestattet: Wer die Reaktionen der Öffentlichkeit in USA und westlicher Welt auf die Terror-Anschläge vom 11.9.2001 beobachtet und auch einmal auf sich selbst schaut, der merkt vermutlich rasch, wie leicht sich die von Köndgen ganz zutreffend beschriebenen gesellschaftliche Zielvor­stellungen im Angesicht des Ungeheuerlichen über Bord werfen lassen. Man wird aber noch einen Schritt weiter gehen können: Unsere gesellschaftliche Ordnung missbilligt keineswegs grundsätzlich das Bedürfnis nach Ausgleich, wenn es zur Verletzung von Gefühlen kommt. Lehnt man jegliche Straffunktion zivilrechtlicher Normen ab, so muss dies zudem noch keine Einschränkung von Immaterialersatzansprüchen, jedenfalls in Form des Schmerzensgeldes nach § 847 BGB bedeuten. Ich möchte mich insoweit Zeuner an­schließen, der den Kritikern der Genugtuungskomponente in § 847 BGB entgegen hält, dass es sich hierbei nur um ein Element des Anspruchs handelt. Vielleicht darf man weitergehend sagen: Die Genugtuung ist jedenfalls nicht die wesentliche Funktion der Norm. In Haftpflichtfällen ist sie eher von untergeordneter Bedeutung.

An anderer Stelle wird gegen § 847 BGB eingewandt, dass Gefühlsschäden – und darum geht es ja häufig – weder hinreichend bestimmt noch Entschädigungen exakt ermittelt werden können.[20]

Nun sprechen aber drohende Probleme der genauen Messbarkeit des Schadens nicht gegen die Gewährung von Schmerzensgeld, denn schon die Väter des BGB wollten für körperliche Schmerzen – deren „Umrechnung“ ja gleichfalls schwierig ist – in jedem Falle einen solchen Anspruch gewähren, obwohl man seinerzeit noch nicht über Schmerzensgeldtabellen verfügte und auch die Harmonisierung der in den Ländern des Reiches höchst unterschiedlichen Rechtsvorstellungen erst mit dem BGB einsetzen konnte. Die wesentliche Funktion des Schmerzensgeldes liegt mithin im Ausgleich, in der Wiederherstellung des beeinträchtigten Lebensgefühls.

Die bereits angesprochene Schwierigkeit exakter Bestimmung eines immateriellen Schadens versucht der Gesetzgeber durch den Gesichtspunkt der Billigkeit aufzufangen. Der Richter kann frei würdigen, unterschiedliche Umstände (Schwere, Dauer, Ver­schuldensgrad) einbeziehen und daraus die Entschädigungsleistung bestimmen. Dies mag Unsicherheiten bergen, ist aber vor dem Hintergrund sich festigender Rechtspre­chung hinnehmbar. Heutzutage haben Schmerzensgeldtabellen[21] deutliche Leitfunktion und ein erhebliches Präzedenzpotenzial; die durch Abweichungen entstehenden Unsi­cherheiten bewegen sich auf niedrigstem Niveau. Nach Ansicht der Geschädigten die zuerkannten Schmerzensgeldbeträge freilich auch.

IV. Rechtspolitische Ansätze einer Schadensrechtsreform

1. Die Entwicklung bis zum 2. Schadensrechtsreformgesetz

Das soeben grob skizzierte deutsche Schmerzensgeldrecht ist nicht etwa erst seit den Katastrophen von Eschede, Brühl oder Paris in der Diskussion. Reformanregungen rei­chen weit zurück. Der 45. Deutsche Juristentag hat sich 1964 dieser Frage angenommen und bereits erste Vorschläge zur Erweiterung der Schmerzensgeldhaftung unterbreitet.[22]

Diese mündeten in einen Referentenentwurf zur Reform – seinerzeit noch schlicht: „Änderung“ genannt – des Schadensersatzrechts, der 1967 vorgelegt und heftig disku­tiert wurde.[23] Schon damals ist angeregt worden, Schmerzensgeld auch bei Gefähr­dungshaftung zu gewähren und im Gegenzug die Möglichkeit der Ersatzforderung bei Bagatellschäden auszuschließen.[24] Dieser Ansatz wurde indessen nicht weiter verfolgt; er unterfiel der verfassungsrechtlichen Diskontinuität am Ende der Großen Koalition und wäre geradezu in Vergessenheit geraten, hätte sich nicht mit erstaunlicher Beharr­lichkeit der Verkehrsgerichtstag wiederholt mit der Frage beschäftigt.[25] Auch von dieser Seite wurde immer wieder betont, dass eine Ausweitung auf die Gefährdungshaftung geboten sei. Ähnlich verhielt sich der Bundesrat, der im Jahre 1998 eine entsprechende Entschließung vorgelegt hat.[26]

Gleichwohl sollte es seit der letzten Gesetzesnovelle aus dem Jahre 1975 über zwan­zig Jahre dauern, bis wiederum ein Entwurf vorgelegt wurde, mit dem das Schadenser­satzrecht auch in diesem Punkte verändert werden sollte.[27]

2. Der Referenten-Entwurf eines 2. Schadensrechtsreformgesetz

a) Ansatzpunkte der Reform

Der letzte Versuch im Gesetzgebungsverfahren konnte zum Ende der Regierung Kohl jedoch nicht mehr umgesetzt werden[28], wurde aber unter der neuen Bundesregie­rung im Justizministerium weiter vorangetrieben und erneut in das Stadium eines Refe­rentenentwurfs gebracht, der nun seit dem 19.2.2001 vorliegt.

Der Vorschlag verfolgt neben der Modifikation des Schmerzensgeldrechts noch weitere Ziele, die hier nicht näher erörtert werden können. Die Rechtsanwälte unter Ih­nen wird aber interessieren, dass u.a. die Möglichkeit der Abrechnung von Schäden auf fiktiver Basis (Stichwort: MwSt) eingeschränkt werden, außerdem die Deliktsfähigkeit von Minderjährigen im Straßenverkehr erst mit dem zehnten Lebensjahr einsetzen, im Arzneimittelhaftungsrecht ein eigener Auskunftsanspruch gegen die Pharmaproduzen­ten eingeführt, die Haftungshöchstsummen in verschiedenen Spezialgesetzen erhöht und ein besonderer Tatbestand der Sachverständigenhaftung geschaffen werden soll.

Für die hier interessierende Frage einer erweiterten Schmerzensgeldhaftung will das Schadensrechtsreform-Gesetz eine weit reichende Neuregelung schaffen. Dies geschieht durch einen verhältnismäßig geringfügigen Eingriff in das Gesetz, in dem der bisherige § 253 BGB lediglich einen zweiten Absatz erhält, demzufolge der Nichtvermögens­schaden bei Verletzung des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung auch dann verlangt werden kann, wenn sie auf einer vorsätzlichen Schädigung beruht oder nicht unerheblicher Art und Dauer ist. Zugleich wird § 847 BGB gestrichen.

Die zentrale Vorschrift über das Schmerzensgeld findet sich künftig also in § 253 BGB n.F., der folgendermaßen lauten soll:

„(1) Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann Entschädigung in Geld nur in den durch das Gesetz bestimmten Fällen gefordert werden.

(2)   Ist wegen einer Verletzung des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der se­xuellen Selbstbestimmung Schadensersatz zu leisten, kann auch wegen des Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine billige Entschädigung in Geld gefordert werden, wenn

1.    die Verletzung vorsätzlich herbeigeführt wurde oder

2.    der Schaden unter Berücksichtigung seiner Art und Dauer nicht unerheblich ist.“

Technisch geht der Gesetzgeber demnach so vor, dass es Ersatz immaterieller Schä­den auch weiterhin nur in den vom Gesetz vorgesehen Fällen gibt. Nachdem § 847 BGB gestrichen ist – die §§ 651 f Abs. 2, 611 a Abs. 2 hier irrelevant sind -, und der Gesetz­geber die Gefährdungshaftung einbeziehen will, muss er nunmehr in den entsprechen­den Spezialgesetzen Schmerzensgeldansprüche vorsehen (HaftpflG, LuftVG, ProdHG usw.); solche Normen enthält das Reformgesetz.

Mit der Neuregelung wird erstmalig ein umfassender Schmerzensgeldanspruch ge­schaffen, dessen Standort daher im allgemeinen Schuldrecht anzusiedeln war. Gemein­same Voraussetzung des Anspruchs ist die Verletzung des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung. Die Neuregelung verzichtet damit aus­drücklich auf die Aufnahme des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, da sich inzwischen durchgesetzt hat, dass ein solcher Anspruch nicht allein auf § 847 BGB, sondern aus dem Schutzauftrag der Art. 1, 2 Abs. 1 GG gestützt werden kann.

Der so geschaffene, allgemeine Schmerzensgeldanspruch soll stets eingreifen, wenn eines der enumerativ aufgeführten Rechtsgüter verletzt ist, unabhängig vom jeweiligen Haftungsgrund, der sich aus Vertrag oder Gesetz, aus Verschuldens- oder Gefährdungs­haftung ergeben kann.

Zugleich enthält die Norm eine Einschränkung, die ebenfalls für alle Fälle – mit Ausnahme der vorsätzlichen Schädigung – gilt: Der durch die Verletzung der genannten Rechtsgüter verursachte Schaden darf unter Berücksichtigung seiner Art und Dauer nicht unerheblich sein.

b) Ziele des Reformgesetzes

aa) Schließung von Diskrepanzen

Das Schadensrechts-Reformgesetz will ausweislich der Begründung des Referenten­entwurfs die Diskrepanz zwischen der bisherigen außervertraglichen Verschuldenshaf­tung einerseits und der Gefährdungs- wie auch Vertragshaftung andererseits schließen. Der Entwurf beseitigt die insoweit bestehenden, dargelegten Unterschiede und lässt Schmerzensgeld als einheitlichen, übergreifenden Anspruch entstehen. Kurzum: Die bisher relevante Unterscheidung nach dem Rechtsgrund für die Haftung würde künftig entfallen. Das verdient nähere Betrachtung.

bb) Begründung für die Ausweitung auf Gefährdungshaftung

Zur Begründung eines Schmerzensgeldanspruchs bei Gefährdungshaftung werden Aspekte herangezogen, die bereits seit längerer Zeit in der Diskussion sind:

Zunächst einmal erscheint es selbst Juristen inzwischen nur noch schwer vermittel­bar, wenn Geschädigte auf deliktischer Grundlage Immaterialersatz begehren können, aber selbst schwerste Verletzungen aus dem Umfeld der Gefährdungshaftung insoweit entschädigungslos bleiben. Auf diesen Punkt hat Böhmer bereits im Jahre 1979 vor dem Hintergrund „folgenschwerer Eisenbahnunfälle der letzten Jahre“[29] hingewiesen und zur Legitimation auch die Verpflichtung des Gesetzgebers herangezogen, im Wege verteilender Gerechtigkeit eine Art soziale Einstandspflicht des Schädigers dort festzu­setzen, wo ein subjektives Unrecht nicht nachzuweisen ist.[30] Geriet dieser spezifische Ansatz auch etwas in den Hintergrund, so hat insbesondere die Eschede-Katastrophe das schadensersatzrechtliche Dilemma von Verschuldens- und Gefährdungshaftung breiten Kreisen der Bevölkerung deutlich gemacht, nachdem die überlebenden Opfer des Un­glücks zunächst von der Bahn AG – durchaus zutreffend – dahingehend belehrt wurden, dass nach dem HaftPflG eine Schmerzensgeldhaftung ausscheide, man aber kulanter­weise zu entsprechenden Zahlungen bis max. 30.000 DM bereit sei. Dass es für diese Zahlungen auf eine Verschuldenshaftung der Bahn AG, gegen die diese sich bis heute vehement wehrt, ankommen soll, ist den Betroffenen nur schwer klar zu machen. Erst der Einsatz des Ombudsmanns Otto-Ernst Krasney und die von ihm durchgesetzte un­bürokratische, außerrechtliche Entschädigungspraxis hat das Unternehmen insoweit etwas aus der Schusslinie genommen.[31]

An die tatsächlich schwer vermittelbare Differenzierung der Haftungsfolgen knüpft auch folgende praktische Erwägung aus dem allgemeinen Verfahrensrecht an. Eine we­sentliche Aufgabe der Gefährdungshaftung besteht darin, einen Ausgleichsmechanismus auf Grundlage einfacher Risikozuweisung zu schaffen. Das Entfallen eines Verschul­denserfordernisses entlastet ja in erster Linie den Anspruchsinhaber, dem dieser Nach­weis auch nur schwer gelingen würde. Gefährdungshaftung bedeutet insoweit auch Entlastung – zunächst des Geschädigten, der weniger beweisen muss; sodann der Ge­richte, die weniger prüfen müssen.

Dieser Effekt geht jedoch weithin verloren, wenn die Geschädigten ein Schmerzens­geld allein auf Grundlage der Verschuldenshaftung erlangen können. Dies führt dazu, dass die wesentlichen Fragen der Kompensation auf Grundlage der Gefährdungsregeln beantwortet werden können, das Gericht sodann aber dennoch einen deliktischen An­spruch auf Grundlage der §§ 823, 847 BGB prüfen muss, um über die Forderung von Immaterialersatz zu entscheiden. Wer jemals einen simplen Rechtsstreit nach einem Verkehrsunfall begleitet hat, kennt dieses Dilemma.

Dieses Problem hat in der obergerichtlichen Praxis dazu geführt, dass Verkehrs- oder Verkehrssicherungspflichten erheblich ausgeweitet wurden und so eine der Gefähr­dungshaftung angenäherte Verschuldenshaftung geschaffen wurde. So recht zu über­zeugen vermochten viele dieser Entscheidungen nicht. Da ihre innere Rechtfertigung in der Eröffnung von Schmerzensgeldansprüchen lag, würden solche Konstruktionen mit der Neuregelung entbehrlich. Die Richterinnen und Richter werden dies dankbar zur Kenntnis nehmen.

Von der positiven Regelung des Schmerzensgeldes auch bei Gefährdungshaftung verspricht sich das Justizministerium mithin einen deutlichen Rationalisierungseffekt für die gerichtlichen Verfahren. Dem ist zuzustimmen, zumal die Neuregelung im Ge­gensatz zu vorherigen Entwürfen auf die Voraussetzung „schwersten Verschuldens“ verzichtet, um auch bei Bagatellschäden zu einem Schmerzensgeld zu kommen. Mit der Begrenzung auf Vorsatzfälle ist eine Sperre eingezogen, die es dem Rechtsberater er­leichtern wird, den Mandanten von der Unsinnigkeit einer Schmerzensgeldforderung zu überzeugen, wenn das Verhalten des Schädigers auf die üblichen – auch schwereren – Sorgfaltspflichtverstöße zurückzuführen ist, die wir alle kennen.

Probleme mag für einen Übergangszeitraum die Einordnung der „nicht unerhebli­chen Schäden“ bereiten, wiewohl es hier wahrscheinlich ist, dass die Rechtsprechung auf die bereits jetzt im Rahmen der §§ 847, 253 BGB geübte Entscheidungspraxis zu­rückgreifen wird.

Mit dieser Begründung verschwindet der Genugtuungsgedanke aus dem Schmer­zensgeld. Dass er in der Begründung des Referenten-Entwurfs noch Erwähnung findet, ist allein auf die besondere Regelung für Vorsatz-Schäden zurückzuführen.

Noch ein weiterer Aspekt hat das Justizministerium bewogen, die §§ 253, 847 BGB durchgreifend zu verändern: der Blick auf das Ausland. Die feinsinnige, ursprünglich vielleicht noch zu rechtfertigende Differenzierung von Verschuldens- und Gefähr­dungshaftung ist den meisten Rechtsordnungen Europas ebenso fremd wie die im deut­schen Recht bestehende Zurückhaltung gegenüber Immaterialersatzansprüchen. Man muss dafür gar nicht das US-Recht heranziehen. Bereits der Blick über die Grenzen zu unseren Nachbarn verdeutlicht die dortige Offenheit gegenüber unterschiedlichen Scha­denspositionen.

cc) Begründung für die Ausweitung auf Vertragshaftung

Doch nicht nur bei Gefährdungshaftung soll der Schmerzensgeldanspruch bestehen, auch in Fällen der Vertragshaftung ist er künftig nicht mehr ausgeschlossen.

Vertragshaftung kennt unser Zivilrecht ausschließlich als Verschuldenshaftung, daran hat auch die Schuldrechtsreform nichts geändert.[32] Schmerzensgeldansprüche kamen darin bislang nicht vor, sofern die Parteien nicht eine entsprechende Vereinba­rung getroffen hatten. Dies dürfte kaum jemals der Fall gewesen sein. Die Neuregelung will diesen Anspruch nun immer dann entstehen lassen, wenn es im Rahmen eines Ver­tragsverhältnisses zur Verletzung von Körper, Gesundheit, Freiheit oder sexueller Selbstbestimmung kommt. Auch diese Reform gleicht unser Recht an die europäischen Nachbarn an, denen zumeist die Trennung von außervertraglicher und vertraglicher Haftung weniger wichtig ist als uns.

dd) Begrenzung des Anspruchs (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 BGB-RE)

Die Verfasser des Reformgesetzes sind sich darüber im Klaren, dass die Ausweitung der Schmerzensgeldmöglichkeiten zu Kostensteigerungen führen; für den Bereich des Versicherungsrechts wird dies durchaus gesehen. Mit der Neuregelung wird aber aus­weislich der Begründung des Entwurfs für die Rechtsprechung die Möglichkeit verbun­den, die bisherigen Ersatzsummen zu überprüfen und erforderlichenfalls nach oben zu verändern. Den Freiraum dafür will der Entwurf dadurch schaffen, dass bei Bagatell­fällen ein Schmerzensgeld nicht mehr zugebilligt werden kann. Damit zeichnet der Ge­setzgeber die Entwicklung der Rechtsprechung der vergangenen Jahre nach, die bereits jetzt bei geringfügigen Verletzungen keinen Ersatz zubilligt. Zugleich bedient er sich jenes Argumentationsmodells der Allokationseffizienz, das mit den Gedanken der öko­nomischen Analyse des Rechts Eingang auch in das deutsche Rechtsdenken gefunden hat.

Die Neuregelung enthält die Parameter, nach denen die Wesentlichkeit des Schadens festzustellen ist. § 253 Abs. 2 BGB-RE spricht von „Art und Dauer“. Beide Merkmale sollen gesondert geprüft werden, müssen auch nicht im eigentlichen Sinne kumulativ vorliegen. In der Praxis sollen danach künftig etwa Schürf- und Schnittwunden, Prel­lungen, Zerrungen oder Stauchungen als unerheblich aus dem Schmerzensgeld heraus­fallen; ebenso nicht objektivierbare leichte HWS-Verletzungen (HWS-Syndrom 1.Grades). Eine Summe mochte man nicht vorgeben, sie dürfte aber etwa bei 1.000 DM liegen.

V. Auswirkungen auf das Reisevertragsrecht

Betrachten wir die Folgen für den Bereich des Reisevertragsrechts, so dürften sie in der Praxis weit weniger einschneidend ausfallen als auf den ersten Blick zu vermuten ist.

Schon nach geltendem Recht setzte das Entstehen von Schmerzensgeldansprüchen voraus, dass eines der in § 847 BGB genannten Rechtsgüter betroffen ist. Wenn die Neuregelung nunmehr diesen Rechtsgüterschutz auf vertragliche Verpflichtungen aus­dehnt, kopiert sie damit im Grunde die bisherige Haftungsregel. Bedeutet dies nun aber eine gravierende Ausweitung? Ziehen wir die Balkonsturz-Entscheidung als Modellfall heran: Der BGH hat hier die Verpflichtung des Veranstalters festgeschrieben, die Ein­richtungen der örtlichen Leistungsträger zu überprüfen, anderenfalls er für etwaige Schäden der Reisenden zu Ersatz verpflichtet ist. Im Grunde handelt es sich bei der vom Gericht betonten Pflicht des Veranstalters um eine solche, die sich aus der Sonderbezie­hung der Beteiligten – nämlich dem bestehenden Reisevertrag – ergibt. Um es deutlich zu machen: Kein Mensch würde ja daran denken, den Veranstalter in die Haftung zu nehmen, wenn sich ein Mitarbeiter des Hotels dieselben Schäden zugezogen hätte. Nun waren aber die deutschen Gerichte gezwungen, die Haftung des Veranstalters auf deliktische Grundlage zu stellen, um dem Reisenden auch zu einem Schmerzens­geldanspruch zu verhelfen. Im Grunde wurde damit auch im Reiserecht der Versuch unternommen, eine eigentlich vertragliche Haftung auf die deliktische Ebene zu ziehen, um zum gewünschten Ergebnis – i.e. Immaterialersatz – zu gelangen. Wir kennen dieses Problem aus der Arzthaftung – es ist hier wie dort eine interessengerechte Lösung, die aber der sinnvollen Begründung entbehrt.

Wenn man es so betrachtet, schafft der Gesetzgeber fraglos de iure einen zusätzli­chen Anspruch, de facto aber nicht. Denn schon nach geltendem Recht wäre in den meisten Vertragsfällen auch eine Haftung auf deliktischer Grundlage zu bejahen gewe­sen.

Die Probleme für Reiseveranstalter liegen also mehr im Detail:

Problematischer an der Erweiterung des Schmerzensgeldes auf die Vertragshaftung ist die Einstandspflicht für Gehilfen, also die Zurechnungs- und Haftungsüberleitungs­regelung. Führte bislang nur die Verantwortlichkeit für den Verrichtungsgehilfen (§ 831 BGB) zum Schmerzensgeld, so greift künftig auch bei Erfüllungsgehilfenhaftung (§ 278 BGB) der allgemeine Schmerzensgeldanspruch. Da die Erfüllungsgehilfenhaftung in der Rechtsprechung des BGH quasi Garantiecharakter bekommen hat, liegt darin – das ist zuzugeben – durchaus eine Haftungserweiterung. Ob sie freilich weiter gehen wird als die jetzt schon unmittelbar bestehende Verantwortlichkeit, möchte ich bezweifeln. Indem der Bundesgerichtshof die Anforderungen an die eigene Verkehrssicherungs­pflicht des Veranstalters auch für die vom Erfüllungsgehilfen zu erbringenden Leistun­gen erheblich abgesenkt hat, steht das Tor zum Anspruch aus §§ 823, 847 BGB schon jetzt rasch offen. Wenn daraus nun eine dogmatisch saubere und inhaltlich nachvoll­ziehbare umfassende Einstandspflicht für den Erfüllungsgehilfen wird, halte ich dies nur für eine geringfügige Verschärfung gegenüber der bestehenden Regelung.

Gleiches gilt meines Erachtens auch für die Beweislastregel des bisherigen § 282 BGB – künftig in der allgemeinen Beweislastregel des § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB n.F. enthalten –, die dann gleichfalls bei Geltendmachung des Schmerzensgeldanspruchs auf vertraglicher Grundlage eingreifen wird.

Auch das Verjährungsproblem erscheint mir wenig dramatisch. In Fällen der An­spruchskonkurrenz greift die Rechtsprechung bekanntlich gerne auf jene Anspruchs­grundlage zurück, die in concreto noch nicht verjährt ist.[33] Im geltenden Recht mit sei­ner Vielzahl unterschiedlichster Regeln liegt darin oft der Rettungsanker für den An­spruchsteller. Als das Schadensrechtsreform-Gesetz im Februar 2001 vorgelegt wurde, ging man noch davon aus, dass mit der ebenfalls zum 1.1.2002 anstehenden Schuld­rechtsreform auch eine durchgreifende Vereinheitlichung des Verjährungsrechts bei einheitlichen Frist von drei Jahren und objektiver Anknüpfung an das Entstehen des Anspruchs einher ginge.[34] Inzwischen wurde dieser Ansatz umgestoßen und ein modifi­ziertes Verjährungsrecht geschaffen, dessen Harmonisierungskraft freilich immer noch sehr groß ist. Mit der neuen, kenntnisabhängigen Regelverjährung von drei Jahren, de­ren Modell im Wesentlichen an die bereits bekannte Regel des § 852 BGB anknüpft, sollen in Zukunft vertragliche und deliktische Ansprüche gleichzeitig verjähren;[35] für den Bereich des Schadensersatzes bei Personenschäden wird zudem die absolute Ver­jährungsgrenze – ein Muss subjektiver Anknüpfung des Beginns – nicht auf zehn, son­dern auf dreißig Jahre festgesetzt. Diese Vereinheitlichung macht den nachgerade belie­bigen Wechsel von vertraglichen zu deliktischen Ansprüchen und zurück in den meisten Haftungsfällen bei bestehender Vertragsbeziehungen in Zukunft überflüssig. Im Reise­vertragsrecht ergibt sich freilich insoweit eine Besonderheit, als das Schuldrechtsmo­dernisierungsgesetz die geltende sechsmonatige Verjährung in § 651 g Abs. 2 BGB in eine Zweijahresfrist umwandeln und damit diese Frist mit der dreijährigen Regelverjäh­rung des neuen § 195 BGB kollidieren wird. Da § 651 g Abs. 2 weiterhin objektiv ange­knüpft werden soll, die Regelverjährung aber auf Kenntnis von der anspruchsbegrün­denden Tatsachen sowie der Person des Schuldners abstellt, ist zu vermuten, dass es hier weiterhin zu Opportunitätsentscheidungen kommt, wenn Schmerzensgeld im Rah­men der Verletzung des Reisevertrags gefordert wird. In Anbetracht der nun längeren Fristen für den Anspruch aus Vertragsverletzung dürften die Auswirkungen dieser Kon­kurrenz keinen hohen Stellenwert bekommen.

VI. Defizite der Schmerzensgeld-Reform

1. Rückwirkung und Öffnungsklausel

Die Schadensrechtsnovelle kommt spät. Und sie erfüllt wohl auch nicht alle Erwar­tungen, die an sie gestellt werden. Dabei muss man der Fairness halber sagen, dass manches Defizit wohl auch gesetzgeberisch nicht zu lösen ist.

Gestatten Sie mir vor dem Hintergrund jüngster Schadensereignisse einen kurzen bewertenden Blick auf die Neuregelung. Das Eisenbahn-Unglück von Eschede, bei dem 101 Reisende zu Tode kamen, beschäftigt den Ombudsmann der Bahn AG, Prof. Kras­ney, bis heute. Zwar wurde rasch finanzielle Überbrückungshilfe geleistet, sind inzwi­schen auch die materiellen Schäden weitest gehend behoben, doch eine Frage lastet bleiern auf den Verhandlungspartnern: Wie steht es mit den Schmerzensgeldzahlungen?

Zutreffend verweist die Bahn AG darauf, dass sie nach dem Haftpflichtgesetz, das ja bekanntlich eine Gefährdungshaftung anordnet, überhaupt nicht zu Schmerzensgeld­zahlungen verpflichtet sei. Gleichwohl – so Bahn-Vertreter – seien inzwischen Schmer­zensgeldzahlungen an die unmittelbar Verletzten erfolgt, freilich ohne Anerkennung einer entsprechenden Rechtspflicht. Eine solche Rechtspflicht würde der neue § 253 BGB begründen, die Bahn AG also nach Katastrophen wie in Eschede oder Brühl auch gesetzlich zu Schmerzensgeldzahlungen verpflichtet sein.

Es mag die um die Rechtfertigung solcher (Kulanz-)Zahlungen ringenden Bahn-Ver­antwortlichen beruhigen, dass nicht nur die neue Regelung einen Schmerzensgeldan­spruch bei Gefährdungshaftung begründet, sondern der Gesetzgeber darüber hinaus eine Öffnungsklausel ins Schadensrechtsreformgesetz aufnehmen will, wonach dessen Grundsätze auch für zurückliegende Ereignisse herangezogen werden können. Nach Art. 12 des Referenten-Entwurfs, der eine Änderung des EGBGB enthält, finden die Neuregelungen auf Ereignisse vor dem 1.1.2002 keine Anwendung. Im Bereich be­stimmter Gesetze (u.a. HaftPflG, LuftVG, ProdHaftG) können jedoch wegen der Tötung und Körperverletzung eines Menschen auch für frühere Ereignisse Ansprüche erhoben werden, deren Gewährung von Billigkeit und Zumutbarkeitskriterien abhängen. Man wird hier kaum annehmen können, dass der Bahn AG derlei Zahlungen unzumutbar seien. Ähnlich verhält es sich dann übrigens wohl auch im Lipobay-Komplex, so dieser jemals vor deutschen Gerichten zur Entscheidung ansteht.

2. Angehörigen-/Hinterbliebenen-Schmerzensgeld

Der Eschede-Fall zeigt aber zugleich ein Defizit unseres Schmerzensgeldrechts auf, das durch das Schadensrechtsreformgesetz nicht behoben wird: Das in der jüngeren Zeit wieder stärker ins öffentliche Bewusstsein getretene Schmerzensgeld für Hinterblie­bene. Dieser Aspekt war bereits Gegenstand meines Vortrags auf der diesjährigen DGfR-Veranstaltung anlässlich der ITB in Berlin.[36] Nicht nur Eschede und Brühl, auch das Concorde-Unglück in Paris,[37] im Grunde jeder Flugzeugabsturz, jeder Verkehrsträ­ger-Unfall (ob Bahn, Bus, Seilbahn oder Schiff) wirft dieses Problem auf. Wie steht es jenseits konkreten Vermögensschadensausgleichs mit einem Schmerzensgeld für dieje­nigen, die bei diesem Unglück den Partner, Kinder oder Verwandte verloren haben?

Das aktuelle Reformprojekt nimmt sich dieser Frage nicht an, obwohl – wenn auch nur gelegentlich – das Problem auch in der juristischen Fachpresse aufgegriffen wurde.[38] Dass der Bundesgesetzgeber dies negieren will, verblüfft vor dem Hintergrund der europäischen Rechtslage und der Tatsache, dass die Verfasser des Referentenent­wurfs diesen ja gerade auch mit dem Harmonisierungsbedürfnis innerhalb der Europäi­schen Union bzw. Europas zu legitimieren suchen. Kötz hat bereits vor 15 Jahren auf die andersartige Regelung im schweizerischen Recht verwiesen,[39] doch nicht nur dort findet sich eine ausgeprägte Judikatur zum so genannten Hinterbliebenen-Schmerzensgeld. Ich darf insoweit auf meinen Beitrag und die Diskussion anlässlich der ITB-Veranstaltung verweisen.

Bislang verneinen deutsche Gerichte die Zuerkennung eines eigenen Hinterbliebe­nen-Schmerzensgeldes und verlangen für dessen Zuerkennung eine eigene Gesund­heitsverletzung des Anspruchstellers. Bekannt geworden ist diese Judikatur unter dem Terminus „Schockschaden“.[40] Lässt sich eine eigene Rechtsgutverletzung (Körper­verletzung/Gesundheitsschädigung) des Hinterbliebenen feststellen, geht also dessen Reaktion über das hinaus, was gemeinhin mit der Todesnachricht etwa eines Angehöri­gen einhergeht, so will die Rechtsprechung ebenfalls Schmerzensgeld gewähren; for­melhaft wird eine besonders „schwere Beeinträchtigung“ verlangt.[41] Bewegt sich alles indessen im Bereich des Erträglichen, im Bereich dessen, was Angehörige „erfahrungs­gemäß“ in solchen Situationen durchleben,[42] lässt sich also beim Hinterbliebenen keine pathologische Reaktion feststellen,[43] so wird das Schmerzensgeld verweigert.

Es ist auch dieser weithin nur schwer vermittelbare Umgang des deutschen Rechts mit Hinterbliebenen, der heutzutage bei nahezu jeder Katastrophe einen ganzen Tross so genannter Opferanwälte auf den Plan ruft, die binnen kürzester Frist androhen, entspre­chende Ersatzklagen in den USA anhängig zu machen, weil dortige Gerichte – besser: die Juries – wesentlich großzügiger mit Entschädigungen umgehen; jedenfalls dann, wenn US-Recht zur Anwendung kommt. Die Namen dieser vermeintlichen „Heilsbo­ten“ sind hinlänglich bekannt, die Presse räumt ihnen und ihren bisweilen aberwitzigen Forderungen wie Argumentationen gerne breiten Raum ein.[44] Dass es sich dabei häufig geradezu um Scharlatanerie handelt, bedarf im Kreise eines fachkundigen Publikums keiner Betonung, Stilblüten solcher juristischen Methode ließen sich zuhauf wiederge­ben. Sie und ihre stete Medienpräsenz haben die ängstliche Frage nach der „Amerikani­sierung des deutschen Schadensersatzrechts“ aufgeworfen, die wir ebenfalls in Berlin im März diskutiert haben. Ich sehe auch heute keine Anlass zur Besorgnis unvertretbar hoher Schmerzensgeld-Entscheidungen oder besonders erfolgreichen Ausweichens auf die US-Rechtsordnung. Dass beides als Drohkulisse anwaltlichen Verhandlungsge­schicks aufgebaut wird, muss man in einer globalisierten Wirtschaft meines Erachtens hinnehmen, ohne sich davor übermäßig zu ängstigen.

Nur zur Verdeutlichung: Ich möchte hier keineswegs dem hier zahlreich vertretenen, „ehrbaren Stand“ der deutschen Anwaltschaft zu nahe treten. Kuriose Beispiele eines missverstandenen Schadensersatzrechts liefern auch Exponenten der Justiz, wie vor vier Wochen einem Artikel im Spiegel zu entnehmen war, der inzwischen auch wiederholt Eingang in die Tagespresse gefunden hat. In diesen Berichten wird mitgeteilt, dass zur Zeit im Ruhrgebiet die Schmerzensgeldklage des Vizepräsidenten eines ostdeutschen Landgerichts verhandelt wird, der nach jahrelangem Konsum von Coca-Cola und Mars inzwischen an Diabetes mellitus erkrankt ist und nunmehr die Hersteller dieser Produkte – an ihrer deutschen Niederlassung – auf Schmerzensgeld in Anspruch nimmt, weil es an den entsprechenden Warnhinweisen auf diese möglichen Folgen seines – zugegebe­nermaßen übermäßigen – Konsums gefehlt habe.

Unter Juristen dürfte zu diesem Anliegen wohl ein ganzer Strauß an Fragen und Fragwürdigkeiten sogleich auffallen, etwa zur Kausalitätsfrage oder zum erheblichen Mitverschulden, auch zur Rechtsblindheit, die ja gerade manche Gerichte den Parteien gerne in die Urteile schreiben.

Das meines Erachtens sehr merkwürdige Unterfangen des mit dem Zivilrecht ja ver­trauten Klägers bestürzt mich unter einem anderen Gesichtspunkt. Derlei Klagen, An­sprüche dieser Art verstellen den Blick für das, was wirklich überlegenswert ist im gel­tenden Schadensersatzrecht. Mit solchen Schmerzensgeldklagen werden die legitimen Forderungen nach moderater Erhöhung der Schmerzensgeldbeträge oder nach Auswei­tung der Anspruchsberechtigten zugunsten eines Anspruchsbewusstseins desavouiert, das im politischen Bereich gerne als „Vollkaskomentalität“ bezeichnet wird und offen­bart, dass kaum mehr die Bereitschaft besteht, für selbst verschuldete Nachteile auch persönlich einzustehen. Man kommt in dieser Frage nicht weiter, solange derartige Ver­fahren durch die Justiz irrlichtern und in den deutschen Medien auch noch ihren Nieder­schlag finden. Wird solchen Klagen stattgegeben, dürfte weit mehr von einer „Ameri­kanisierung“ in Form uferloser Produktverantwortlichkeit zu sprechen sein als bei der Anhebung unserer Schmerzensgeldbeträge.

Mit Blick auf die durch den Gesetzgeber jetzt nicht aufgegriffene Frage des Angehö­rigen-Schmerzensgeldes bleibt noch Raum für Ergänzungen des Reformvorhabens der Schadensrechtsnovelle.

VII. Bewertung

Noch ist die Neuregelung des Schadensersatzrechts nicht in Kraft. Im Gegensatz zu den Vorgängerinitiativen kann jedoch davon ausgegangen werden, dass diese Reform nicht der Diskontinuität anheim fällt und vor dem Herbst 2002 Gesetzeskraft erlangt. Es wäre auch unglücklich, wenn die nun zur Regelung anstehenden Fragen, die seit Jahren im Grunde ausdiskutiert sind, nun im Polit-Getöse der Wahlkampfzeit untergingen, zu­mal das Bundesjustizministerium mit der Neufassung den kritischen Anregungen zum Entwurf der letzten Legislaturperiode nachgekommen und kritische Stimmen kaum noch zu hören sind.

Zu einem wesentlichen Teil zeichnet der Gesetzgeber mit der Schadensrechtsreform Entwicklungen der Judikatur nach, die zugleich in der Literatur positiv aufgenommen wurden und dem allgemeinen Rechtsbewusstsein – jedenfalls beim Immaterialersatz bei Gefährdungshaftung – entsprechen.

Nicht ausdrücklich geregelt wurde eine deutliche Anhebung der Schmerzensgeld­summen, wie sie gelegentlich in Literatur und Presse gefordert wird. Hier ist eine ge­setzliche Regelung freilich auch kaum möglich; soweit die Gerichte einen Anhaltspunkt für die Eröffnung großzügigerer Schmerzensgeldbemessung suchen, können sie diesen in der Begründung des Referentenentwurfs finden. Das Ausscheiden von Bagatellschä­den soll danach auch angemessenere Entschädigungen in den wirklich relevanten Fällen ermöglichen. Damit lässt der Gesetzgeber den Gerichten bildlich gesprochen die Luft zum Atmen – und man darf salopp formulieren: das ist auch gut so!

Dass sich der deutsche Gesetzgeber nicht zu einer eigenen Regelung des Hinterblie­benen-Schmerzensgeldes durchringen konnte, ist bedauerlich. Dazu hätte – auch im europäischen Kontext – die Möglichkeit bestanden, ohne das unser Schadensersatzrecht aus den Fugen geraten wäre.

Vielleicht aber bietet die Neuregelung auch hier eine Öffnung des Systems, denn unter die Voraussetzungen des neuen § 253 Abs. 2 BGB ließe sich – wie schon unter § 847 BGB – durchaus ein Angehörigenanspruch subsumieren, denn auch das Dogma von der pathologischen Beeinträchtigung des Hinterbliebenen basiert ja auf einer unbe­stimmten Fixierung des Begriffs „Gesundheitsbeeinträchtigung“.

Mit der Neuregelung verknüpft das Ministerium die Hoffnung einer Verbesserung für die „wirklich wichtigen Fälle“. Warten wir einmal ab, ob nicht irgendein Gericht demnächst diese Möglichkeit in einen Urteilsspruch umsetzt und auch ein Hinterbliebe­nenschmerzensgeld zuerkennt. Die anscheinend magnetische Sogwirkung in Richtung US-Gerichtsstand würde dann vermutlich nachlassen, vielleicht käme sie sogar irgend­wann ganz zum Erliegen.

 


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1      Ausführlich zu diesem Komplex: Willingmann, Erfordernisse eines modernen Schadensrechts bei Großschäden, in: Koch/Willingmann (Hrsg.), Modernes Schadensmanagement (im Erscheinen).

2      Aus der Zeit seit 1960: Braschos, Der Ersatz immaterieller Schäden im Vertragsrecht (1979); Kötz, Zur Reform der Schmerzensgeldhaftung, in: FS v. Caemmerer (1978), S. 389 ff.; Nörr, Ersatz des immateriellen Schadens nach geltendem Recht, AcP 158 (1959/60), 1 ff.; Wansleben, Teure Trä­nen – Ein Beitrag zur Behandlung des Nichtvermögensschadens mit rechtsvergleichendem Überblick (Diss. Köln 1975); im Rahmen größerer Untersuchung Köndgen, Haftpflichtfunktionen und Immate­rialschaden (1976).

3      DJT (Hrsg.), Verhandlungen des 45. Deutschen Juristentags 1964, darin das Gutachten Stoll, „Emp­fiehlt sich eine Neuregelung der Verpflichtung zum Geldersatz für immaterielle Schäden?“ (1964), II C.

4      20. VGT (1982), S. 139 ff.; 33. VGT (1995), Empfehlungen, S. 12, 34; 34. VGT (1996), Empfehlun-gen, S. 11.

5      Vereinzelte Ausnahmen in § 833 BGB, § 53 Abs. 3 LuftVG, § 29 Abs. 2 AtomG heben diesen Grundsatz nicht auf; weitere Spezialtatbestände (BGSG; BEG; EMRK) bei Soergel-Zeuner, § 847 (Stand: Frühjahr 1998), Rdnr. 4.

6      BGHZ 103, 298 = NJW 1988, 1380 = VersR 1988, 469.

7      Führich, Reiserecht (3.Aufl. 1998), Rdnr. 354 b.

8      Etwa Bechhofer, Reisevertragsrecht (1995), § 651 c BGB, III.

9      Vgl. beispielhaft nur LG Kleve, RRa 2001, 9, 10; LG Hamburg, RRa 2001, 91; OLG Frankfurt am Main, RRa 2000, 49; OLG Celle, NJW-RR 1996, 372; LG Bonn, RRa 1996, 82; weitere Nachweise unveröffentlichter Entscheidungen bei Bocianiak, VersR 1998, S. 1076, 1082 und Tonner, Reisever­trag (4. Aufl. 2000), § 651 f, Rdnr. 22 ff.

10    Bocianiak, (Fn. 9), 1076, 1081 m.w.N.

11    Mugdan, Protokolle II, S. 517.

12    Vgl. Staudinger-Schiemann, § 253 BGB, Rdnr. 1 mit krit. Analyse der Fortgeltung dieser Überlegun­gen.

13    BGHZ 26, 349.

14    Staudinger-Schiemann, § 253, Rdnr. 2.

15    Vgl. dazu Koch/Willingmann, Großschäden und ihre Abwicklung, in: Koch/Willingmann (Hrsg.), Großschäden – Complex Damages (1998), S. 11, 20 ff.

16    BGH 6.7.1955 (GZS), BGHZ 18, 149 = LM § 847 Nr. 8 mit Anm. Pagendarm.

17    Schon BGH GZS, (Fn. 16), 154; ebenso BGHZ 80, 384, 386; 120, 1, 4 f. = NJW 1993, 781 ff. mit Anm. Deutsch.

18    Ebenso Soergel-Zeuner, Rdnr. 14 m.w.N.

19    Köndgen, (Fn. 2), S. 95ff.

20    Lorenz, Immaterieller Schaden und billige Entschädigung in Geld (1981), S. 32 ff., 51 ff.

21    Hacks/Ring/Böhm, ADAC-Schmerzensgeldtabelle (19.Aufl. 1999); Kuntz, Schmerzensgeld – Ent-scheidungssammlung (Stand 2000); Slizyk, Beck’sche Schmerzensgeldtabelle (3.Auflage 1997).

22    Nachweis siehe oben Fn. 3.

23    BMJ (Hrsg.), RefE eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung schadensersatzrechtlicher Vorschrif­ten (1967).

24    Zum fragwürdigen Ausschluss der Schmerzensgeldhaftung im Vertragsrecht hat sich das Reichsge­richt bereits 1907 (!) kritisch geäußert.

25    Nachweise siehe Fn. 4.

26    BR-Drucks. 554/98.

27    Das zum 1.1.1978 in Kraft getretene (1.) Gesetz zur Änderung schadensrechtlicher Vorschriften v. 16.8.1977, BGBl. I 1577 erfasste lediglich eine Erhöhung der Haftungshöchstbeträge in RHpflG, LuftVG und StVG sowie die Ausweitung der Gefährdungshaftung auf sämtliche Leitungssysteme für Strom, Gase, Dämpfe und Flüssigkeiten.

28    Vgl. BR-Drucks. 554/98. Der damalige BGH-Präsident Geiß bezeichnete das Reformvorhaben aus dem Jahre 1998 als „Omnibus-Gesetz“, mit dem unter erheblichem Zeitdruck eine Vielzahl höchst strittiger Neuregelungen erlassen werden sollte. Es sei gut gewesen, dass dieses Gesetz der Diskonti­nuität unterfallen sei, DAR 1998, 420.

29    Böhmer, MDR 1979, 197.

30    Böhmer, (Fn. 29).

31    Zu dieser Tätigkeit ausführlich Krasney, Die Aufgabe des Ombudsmanns bei der Bahn AG, in: Koch/Willingmann (Hrsg.), (Fn. 1).

32    Vgl. nur Willingmann, Leistungsstörungsrecht, in: Kothe/Micklitz/Tonner/Willingmann, Das neue Schuldrecht – Kompaktkommentar (im Erscheinen).

33    Vgl. nur Schmidt-Räntsch, Das neue Schuldrecht (2001), Rdnrn. 34, 38 unter weitgehender Wieder­gabe der Begründung des Regierungs-Entwurfs zum SchuMoG.

34    Vgl. zu diesem Stadium der Reform Willingmann, Das Verjährungsrecht im Diskussionsentwurf eines Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes, VuR 2001, S. 107 ff.

35    Ausführlich dazu Willingmann, Reform des Verjährungsrecht, in: Micklitz/Pfeiffer/Tonner/Willing­mann, Schuldrechtsreform und Verbraucherschutz (2001), S. 1 ff.

36    Der erweiterte Text befindet sich in diesem Jahrbuch, S. 29 ff.; vgl. auch den Veranstaltungsbericht von Krause, RRa 2001, 106 ff.

37    Vgl. dazu Schmid, in diesem Jahrbuch, S. 17 ff.; Jeinsen, VersR 2002, 30 ff.

38    Etwa Müller, VersR 1995, 489, 4994; Kötz, (Fn. 2), S. 389, 406 ff.; früher schon Stoll im Gutachten für den 45. DJT, (Fn. 2). Nach Erscheinen des Referentenentwurfs Magnus/Fendtke, Non-Pecunary Loss under German Law, in: Horton Rogers (Ed.), Damages for Non-Pecunary Loss in a Compara­tive Perspective (2001), S. 108 ff.; auch Schmid, RRa 2001, 90. Kritisch aber Müller, ZRP 1998, 258, 2261; früher schon Hacks, DAR 1977, 181, 184; Lemcke-Schmalzl/Schmalzl, MDR 1985, 358 ff.

39    Kötz, (Fn. 2), S. 389, 407 ff.

40    BGHZ 56, 163; NJW 1989, 2317.

41    Vgl. statt aller Palandt-Heinrichs, Vor § 249, Rdnr. 71 m.w.N.

42    Palandt-Heinrichs, (Fn. 41). Es muss befremden, wie hier scheinbar randscharfe Abgrenzungskrite­rien tradiert werden, die gemeinhin nicht mehr zu verstehen sind.

43    In diesem Zusammenhang spielt auch die Vorstellung vom „allgemeinen Lebensrisiko“ eine beson­dere Rolle.

44    Vgl. nur die ganzseitigen Portraits des Berliner Rechtsanwalts Geulen im TAGESSPIEGEL v. 14.7.2001 oder des Münchner Rechtsanwalts Witti in der ZEIT v. 23.8.2001.

© Der vorliegende Text wurde crisadvice vorab von Professor Dr. Willingmann zur Verfügung gestellt und soll in Kürze als Buchbeitrag im DGfR-Jahrbuch bei NOMOS erscheinen.

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