Spezialpressedienst
ITB/36/d
Veröffentlichung
kostenfrei – Beleg erbeten
Publication
free of charge – File copy requested
Publication
gratuite – Sollicitons copie
ITB
2001:
Krisenmanagement
fängt
vor der Katastrophe an
Autoren: Sabine Neumann und
Horst Schwartz, Berlin
Die
nächste Katastrophe kommt - ein Lawinenabgang zum Beispiel oder ein Busunfall,
ein Brand auf einer Fähre, ein Flugzeugabsturz. Die wenigsten touristischen
Leistungsträger sind auf katastrophale Unglücksfälle vorbereitet. Erst 40 Jahre
nach den Anfängen des Massentourismus setzt sich langsam die Einsicht durch,
dass Krisenmanagement zum touristischen Handwerk gehört wie Einkauf, Marketing
und Vertrieb. Ein Workshop zu diesem Thema auf der Jahrestagung 2000 des
Deutschen Reisebüro und Reiseveranstalter Verbandes (DRV) in Marbella sowie Versicherer, die sich
neuerdings des Themas annehmen, haben Probleme und Lösungsvorschläge ins Licht
der Öffentlichkeit gerückt. Sabine Neumann und Horst Schwartz,
Reisejournalisten aus Berlin, fassen im Auftrag der Messe Berlin die aktuelle
Diskussion über Krisenmanagement zusammen.
Krisenmanagement
Hannover
liegt im Schlaf. Auch in der Zentrale der TUI-Group an der Karl-Wiechert-Allee
sind die Lampen längst erloschen. Nur in einem Raum in der vierten Etage brennt
auch nachts das Licht - „bis die letzte Maschine irgendwo draußen in der Welt
sicher gelandet ist“, wie es ein Mitarbeiter formuliert. Das TUI-Ops (für operations),
wie Flugleitstellen griffig genannt werden, arbeitet praktisch rund um die Uhr.
Das ist Krisenmanagement: Schnell die richtigen Maßnahmen bei Pannen, Fehlleitungen, Fällen von Höherer Gewalt treffen, das ist das Alltagsgeschäft. Doch auch bei Krisen und Katastrophen ist das Ops, dann durch alle erforderlichen Experten verstärkt, Schaltstelle aller Maßnahmen.
Rückblende: Zypernkrise im Juli 1974. Im Hause
Neckermann greift man in die Schublade und holt Evakuierungspläne hervor. In
kürzester Zeit werden die deutschen Gäste - auch die der Konkurrenz, versteht
sich - ausgeflogen und in Sicherheit gebracht. Auch das war, zu früher Zeit
schon, professionelles Krisenmanagement. Zum ersten Male erlebte die breite
Öffentlichkeit, welch großes Maß an Sicherheit ein Pauschalveranstalter zu
geben vermag. Großveranstalter sind es denn auch, die die systematische Vorbereitung
auf den Ernstfall - den Busunfall, das Safariunglück, den Flugzeugabsturz - zum
Kleinen Einmaleins zählen. Doch solche Unternehmen sind die Ausnahme.
„Die
Branche hat das Thema verschlafen“, bringt es Dr. Adrian von Dörnberg, Marketing-
und Vertriebsvorstand der Europäischen Reiseversicherung, auf den Punkt. Die Unternehmens-Tochter
Touristik Assekuranz Service (TAS) bringt jetzt eine Versicherungslösung für
den Krisenfall auf den Markt, die „überall reinpasst, auch in Großveranstalter,
aber primär für den Mittelstand entwickelt wurde“ (TAS-Geschäftsführer Dieter
Grathwohl). „Mit Krisensituationen“, so merkt das DRV-Verbandsblatt „DRV
Touristik Forum“ zum Thema an, „beschäftigen sich viele Unternehmen, besonders
aus dem Mittelstand, oft erst dann, wenn sie aktuell von einem Unglück
betroffen sind“. Oder sie bereiten sich auf den Ernstfall nur ungenügend vor
wie jener deutscher Busveranstalter mit über 100 Mitarbeitern, der das Thema
Krisenbewältigung dem Inhaber und seiner Frau überlässt. „Wir haben sogar deren
Telefonnummer für den Notfall!“ versichert eine Mitarbeiterin treuherzig.
Es muss sich ja nicht gleich um eine Riesenkatastrophe
handeln wie beim ICE-Unglück in Eschede. Jeder mittelschwere Busunfall lässt
erahnen, was alles in kürzester Zeit an Problemen auf den betroffenen
Leistungsträger einstürzt. Er muss sich Klarheit verschaffen, was denn
überhaupt passiert ist - am Wochenende oder bei Auslandsreisen keine leicht zu
lösende Aufgaben. Der Kontakt mit Rettungskräften muss hergestellt und gehalten
werden. Opfer müssen betreut, Angehörige benachrichtigt werden. Dazu kommt noch
das heikle Thema Öffentlichkeitsarbeit. Von Dörnberg: „Mittelständische
Reiseveranstalter sind bei dieser komplexen Aufgabe schlicht überfordert.“
„Krisen werden
im Kopf bewältigt“
Selbst
wenn sie eine Handvoll Mitarbeiter zur Problemlösung abstellen können, ist
deren Kraft schnell erschöpft. Zudem „stürzt im Krisenfall auf das
Firmenmanagement in kürzester Zeit so viel ein, dass es keine Chance mehr hat,
sich zu organisieren!“ Diese Erfahrung hat Peter Höbel gemacht, Geschäftsführer
der Frankfurter Unternehmensberatung crisadvice, die sich auf Krisenmanagement
spezialisiert hat.
Ein
weiteres Problem nennt Dieter Grathwohl: „Ein betroffener Betrieb ist
telefonisch gar nicht mehr erreichbar, weil Hunderte von Leuten anrufen, um
sich nach dem Unglück zu erkundigen.“
Kein mittlerer oder kleiner Veranstalter kann den
Bedarf an Manpower vorhalten, der im Katastrophenfall benötigt wird, zumal das
Alltagsgeschäft im Unternehmen weiterläuft. Und niemandem bleibt Zeit,
„stundenlang in den Gelben Seiten zu blättern“ (Höbel), um Hilfe herbeizutelefonieren.
„Krisen
werden im Kopf bewältigt“, gibt Peter Höbel die Richtung vor. Und das möglichst
schon lange, bevor der Ernstfall eintritt. Die Prävention von der
Mitarbeiterschulung bis zur Ausarbeitung von Handbüchern verursacht erhebliche
Kosten und setzt Fachwissen voraus. Als Lösung kann sich der crisadvice-Chef
den Aufbau eines Netzwerks vorstellen, das in kürzester Frist die Mitarbeit von
Psychologen, Anwälten, Logistikern und auch Kommunikationsfachleuten aktivieren
kann.
Kommunikation ist ein wichtiger Faktor im
erfolgreichen Krisenmanagement. Wer Presse und Öffentlichkeit im Ernstfall
nicht schnell und korrekt informiert, hat beim Kampf um die Schadensbegrenzung
schon verloren.
Ein schlecht gehandelter Krisenfall kann nicht nur das
betroffene Unternehmen an den Rand des Konkurses drängen. „Bei diesen Unglücken
und Katastrophen geht es nicht nur um die Existenz und das Image einzelner
Unternehmen“, betont von Dörnberg, „sondern es geht um den Ruf der gesamten
Branche“.
Für die Kommunikation mit den Medien gelte es,
„offen, ehrlich und nicht beschönigend Auskunft zu geben“, fordert das „DRV
Touristik Forum“. Denn „wenn die Medien die Informationen des krisenbetroffenen
Unternehmens nicht akzeptieren, suchen sie vermehrt aus dem erweiterten Umfeld
alle möglichen Statements, auch wenn diese von inkompetenten Personen oder
Stellen“ eingeholt werden. Das ist noch milde ausgedrückt. Dass sich selbst
seriöse Medien bei der Katastrophen-Berichterstattung vergaloppieren können,
belegt die Rüge des Presserats, die sich der „Stern“ mit seiner Reportage vom
Absturz der Concorde bei Paris eingehandelt hat.
Das Unglück gilt übrigens in der Branche als
Musterbeispiel für gekonnte, angemessene Öffentlichkeitsarbeit im Krisenfall.
Dabei spielt die Geschwindigkeit der Reaktion eine maßgebliche Rolle. So
traurig das ist: Beim Kampf gegen die Zeit kommt es nur allzu oft darauf an,
die Angehörigen zu benachrichtigen, bevor die Namen - und vielleicht sogar
Bilder - von Opfern in den Medien verbreitet werden. „Im Katastrophenfall muss
man heute in neuen Dimensionen denken“, umschreibt Rainer W. Kemmler,
Luftfahrtpsychologe bei der Lufthansa, das Problem, „wir haben es mit
schnellster Kommunikations-Technologie zu tun.“ Seine Erfahrung: „Deadline ist in 40 Minuten!“
Unternehmen, in denen Manager der Generation am
Drücker sind, in der Vertuschen eine beliebte Form der Öffentlichkeitsarbeit
war, gehen auch heute weniger offen an ein Unglück heran. Sie befürchten, dass
Information als Schuldeingeständnis gewertet wird. Kemmler: „Wer dagegen
zugibt, dass etwas passiert ist, auch ohne die Ursache für das Unglück zu
kennen, hat schon die erste Stufe des Vertrauens erreicht!“
Bei solchen Postulaten weiß Kemmler, wovon er spricht.
Schließlich hält sein Hauptarbeitgeber
- nebenberuflich ist er auch für crisadvice tätig - nicht weniger als 1.000 gut ausgebildete
Helfer für den Ernstfall in Reserve. Außerdem können noch die weltweit acht
Call Center der Lufthansa wichtige Kommunikationsaufgaben übernehmen.
Damit folgt der Kranich-Carrier einer Entwicklung,
die in den USA schon vor sechs oder acht Jahren eingesetzt hat. Wegen der
verschärften Produkthaftung, die zulässt, dass Betroffene in Millionenhöhe
klagen können, haben sich US-Airlines dazu entschlossen, Betroffene eines
Unglücks persönlich zu betreuen. „Dazu braucht man im Einzelfall eine Menge
Leute“, sagt Kemmler, „und wiederum sind die eigenen Leute am besten geeignet.“
American Airlines als Schrittmacher hat als erster Carrier ein „Care Team“ von
600 Mitarbeitern ausgebildet, eine - wie Kemmler betont - „interne Serviceleistung“.
Als sich Präsident Clinton nach zwei verheerenden
Flugzeug-Unglücken höchstpersönlich in die Debatte einschaltete und den
Gesetzgeber zu strengeren Auflagen für die Airlines drängte, wurde es auch für
ausländische Carrier ernst: Jede Gesellschaft, die ein Ziel in den USA
anfliegt, muss ein Krisenkonzept vorweisen können. So sind die ausländischen
Carrier beispielsweise verpflichtet, im Falle eines Unglücks in den USA die Kosten
für den Transport der Opfer-Angehörigen zur Unfallstelle zu übernehmen.
„Das war für die Europäer ein Signal, es den
Amerikanern gleichzutun“, sagt Kemmler. Europäische Airlines hatten zwar schon
immer irgendwelche Krisenkonzepte, aber nicht in diesem Ausmaß. Kemmler:
„Früher bestand ein Krisenteam aus 50 Leuten.“ Bei einem Unglück mit 350
Betroffenen benötigt man aber „das Dreifache an Krisenpersonal!“
Schrecken Großlösungen in ihrer Perfektion nicht
kleinere und mittlere Firmen ab? Die Zahlen sind dazu geeignet. „Ein Experte
kostet vier- bis fünftausend Mark am Tag“, rechnet Peter Höbel vor, „damit
kommt man aber nicht weit, es werden mindestens vier bis fünf gebraucht“.
Dieses Aufgebot muss „drei Tage bis eine Woche“ vorgehalten werden - da
entstehen schnell Kosten in Höhe von 100.000 bis 200.000 Mark.
„Bei kleineren Unternehmen geht das rasch an die
Existenz“, schätzt Reiner W. Kemmler. Er stellt zur Diskussion, dass sich
mehrere Unternehmen zusammentun, um fundiertes Krisenmanagement bereits im
Vorfeld einer Krise zu betreiben. Genau hier greift auch die
Versicherungslösung der TAS. Völlig unabhängig von den materiellen Schäden im
Falle eines Unglücks, die durch normale Versicherungen abgedeckt sind, deckt
sie für versicherte touristische Leistungsträger die Kosten für erforderliche
Experteneinsätze. Mehr noch: Sie sorgt dafür, dass überhaupt „Experten aus
verschiedenen Bereichen betroffenen Unternehmen zur Seite stehen und sie zum
Beispiel bei der Betreuung von Angehörigen und beim Dialog mit der
Öffentlichkeit unterstützen“ (von Dörnberg). Hier arbeitet die TAS eng mit dem
Unternehmen crisadvice zusammen, das in der Branche einen untadeligen Ruf
genießt. Ihre Erfolge dürfen solche Unternehmen nicht an die große Glocke
hängen. „Oberstes Gebot ist Seriosität!“ betont Peter Höbel, „wir arbeiten im
Sinne der Angehörigen im Hintergrund.“
Last but not least muss noch auf zwei in der Branche
kursierende Missverständnisse aufmerksam gemacht werden, die auch auf der
DRV-Tagung in Marbella zur Sprache kamen: Ein Busunfall mit mehreren
Schwerverletzten darf nicht, wie es ein Unternehmer tat, als „harmlos“
bezeichnet werden, weil die Presse keinen Wind davon bekommen hatte. Art und
Umfang der Berichterstattung sind kein Maßstab für die Traumatisierung der
Opfer und ihrer Angehörigen. Eine unseriöse Berichterstattung verstärkt diese
höchstens. Auch warnen Experten davor, Unglücke wie die Notlandung des
Hapag-Lloyd-Jets in Wien zu verharmlosen, weil niemand ernsthafte äußere
Verletzungen davongetragen hat. Die Todesangst, die die Passagiere durchlebt
haben müssen, kann sich nach Expertenmeinung noch jahrelang auswirken.
Dass touristische Leistungsträger hier am Ball
bleiben und die Opferbetreuung mitunter jahrelang fortsetzen müssen, versteht
sich eigentlich von selbst. Vor allem dann, wenn - wie von allen Experten in
Marbella gefordert - „Krisenmanagement als Bestandteil zum Quality-Management“
gehört.
·