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                            ITB 2001:

 

                           

                            Krisenmanagement

                       fängt vor der Katastrophe an

                           

 

                            Autoren: Sabine Neumann und Horst Schwartz, Berlin

 

 

Die nächste Katastrophe kommt - ein Lawinenabgang zum Beispiel oder ein Busunfall, ein Brand auf einer Fähre, ein Flugzeugabsturz. Die wenigsten touristischen Leistungsträger sind auf katastrophale Unglücksfälle vorbereitet. Erst 40 Jahre nach den Anfängen des Massentourismus setzt sich langsam die Einsicht durch, dass Krisenmanagement zum touristischen Handwerk gehört wie Einkauf, Marketing und Vertrieb. Ein Workshop zu diesem Thema auf der Jahrestagung 2000 des Deutschen Reisebüro und Reiseveranstalter Verbandes (DRV)  in Marbella sowie Versicherer, die sich neuerdings des Themas annehmen, haben Probleme und Lösungsvorschläge ins Licht der Öffentlichkeit gerückt. Sabine Neumann und Horst Schwartz, Reisejournalisten aus Berlin, fassen im Auftrag der Messe Berlin die aktuelle Diskussion über Krisenmanagement zusammen.

 

 

Krisenmanagement

 

Hannover liegt im Schlaf. Auch in der Zentrale der TUI-Group an der Karl-Wiechert-Allee sind die Lampen längst erloschen. Nur in einem Raum in der vierten Etage brennt auch nachts das Licht - „bis die letzte Maschine irgendwo draußen in der Welt sicher gelandet ist“, wie es ein Mitarbeiter formuliert. Das TUI-Ops (für operations), wie Flugleitstellen griffig genannt werden, arbeitet praktisch rund um die Uhr.

Das ist Krisenmanagement: Schnell die richtigen Maßnahmen bei Pannen, Fehlleitungen, Fällen von Höherer Gewalt treffen, das ist das Alltagsgeschäft. Doch auch bei Krisen und Katastrophen ist das Ops, dann durch alle erforderlichen Experten verstärkt, Schaltstelle aller Maßnahmen.

 

Rückblende: Zypernkrise im Juli 1974. Im Hause Neckermann greift man in die Schublade und holt Evakuierungspläne hervor. In kürzester Zeit werden die deutschen Gäste - auch die der Konkurrenz, versteht sich - ausgeflogen und in Sicherheit gebracht. Auch das war, zu früher Zeit schon, professionelles Krisenmanagement. Zum ersten Male erlebte die breite Öffentlichkeit, welch großes Maß an Sicherheit ein Pauschalveranstalter zu geben vermag. Großveranstalter sind es denn auch, die die systematische Vorbereitung auf den Ernstfall - den Busunfall, das Safariunglück, den Flugzeugabsturz - zum Kleinen Einmaleins zählen. Doch solche Unternehmen sind die Ausnahme.

 

 

Branche hat das Thema verschlafen

 

„Die Branche hat das Thema verschlafen“, bringt es Dr. Adrian von Dörnberg, Marketing- und Vertriebsvorstand der Europäischen Reiseversicherung, auf den Punkt. Die Unternehmens-Tochter Touristik Assekuranz Service (TAS) bringt jetzt eine Versicherungslösung für den Krisenfall auf den Markt, die „überall reinpasst, auch in Großveranstalter, aber primär für den Mittelstand entwickelt wurde“ (TAS-Geschäftsführer Dieter Grathwohl). „Mit Krisensituationen“, so merkt das DRV-Verbandsblatt „DRV Touristik Forum“ zum Thema an, „beschäftigen sich viele Unternehmen, besonders aus dem Mittelstand, oft erst dann, wenn sie aktuell von einem Unglück betroffen sind“. Oder sie bereiten sich auf den Ernstfall nur ungenügend vor wie jener deutscher Busveranstalter mit über 100 Mitarbeitern, der das Thema Krisenbewältigung dem Inhaber und seiner Frau überlässt. „Wir haben sogar deren Telefonnummer für den Notfall!“ versichert eine Mitarbeiterin treuherzig.

 

Es muss sich ja nicht gleich um eine Riesenkatastrophe handeln wie beim ICE-Unglück in Eschede. Jeder mittelschwere Busunfall lässt erahnen, was alles in kürzester Zeit an Problemen auf den betroffenen Leistungsträger einstürzt. Er muss sich Klarheit verschaffen, was denn überhaupt passiert ist - am Wochenende oder bei Auslandsreisen keine leicht zu lösende Aufgaben. Der Kontakt mit Rettungskräften muss hergestellt und gehalten werden. Opfer müssen betreut, Angehörige benachrichtigt werden. Dazu kommt noch das heikle Thema Öffentlichkeitsarbeit. Von Dörnberg: „Mittelständische Reiseveranstalter sind bei dieser komplexen Aufgabe schlicht überfordert.“

 

 

„Krisen werden im Kopf bewältigt“

 

Selbst wenn sie eine Handvoll Mitarbeiter zur Problemlösung abstellen können, ist deren Kraft schnell erschöpft. Zudem „stürzt im Krisenfall auf das Firmenmanagement in kürzester Zeit so viel ein, dass es keine Chance mehr hat, sich zu organisieren!“ Diese Erfahrung hat Peter Höbel gemacht, Geschäftsführer der Frankfurter Unternehmensberatung crisadvice, die sich auf Krisenmanagement spezialisiert hat.

 

 

Ein weiteres Problem nennt Dieter Grathwohl: „Ein betroffener Betrieb ist telefonisch gar nicht mehr erreichbar, weil Hunderte von Leuten anrufen, um sich nach dem Unglück zu erkundigen.“

 

Kein mittlerer oder kleiner Veranstalter kann den Bedarf an Manpower vorhalten, der im Katastrophenfall benötigt wird, zumal das Alltagsgeschäft im Unternehmen weiterläuft. Und niemandem bleibt Zeit, „stundenlang in den Gelben Seiten zu blättern“ (Höbel), um Hilfe herbeizutelefonieren.

 

 „Krisen werden im Kopf bewältigt“, gibt Peter Höbel die Richtung vor. Und das möglichst schon lange, bevor der Ernstfall eintritt. Die Prävention von der Mitarbeiterschulung bis zur Ausarbeitung von Handbüchern verursacht erhebliche Kosten und setzt Fachwissen voraus. Als Lösung kann sich der crisadvice-Chef den Aufbau eines Netzwerks vorstellen, das in kürzester Frist die Mitarbeit von Psychologen, Anwälten, Logistikern und auch Kommunikationsfachleuten aktivieren kann.

 

 

Deadline: 40 Minuten

 

Kommunikation ist ein wichtiger Faktor im erfolgreichen Krisenmanagement. Wer Presse und Öffentlichkeit im Ernstfall nicht schnell und korrekt informiert, hat beim Kampf um die Schadensbegrenzung schon verloren.

 

Ein schlecht gehandelter Krisenfall kann nicht nur das betroffene Unternehmen an den Rand des Konkurses drängen. „Bei diesen Unglücken und Katastrophen geht es nicht nur um die Existenz und das Image einzelner Unternehmen“, betont von Dörnberg, „sondern es geht um den Ruf der gesamten Branche“.

 

Für die Kommunikation mit den Medien gelte es, „offen, ehrlich und nicht beschönigend Auskunft zu geben“, fordert das „DRV Touristik Forum“. Denn „wenn die Medien die Informationen des krisenbetroffenen Unternehmens nicht akzeptieren, suchen sie vermehrt aus dem erweiterten Umfeld alle möglichen Statements, auch wenn diese von inkompetenten Personen oder Stellen“ eingeholt werden. Das ist noch milde ausgedrückt. Dass sich selbst seriöse Medien bei der Katastrophen-Berichterstattung vergaloppieren können, belegt die Rüge des Presserats, die sich der „Stern“ mit seiner Reportage vom Absturz der Concorde bei Paris eingehandelt hat.

 

Das Unglück gilt übrigens in der Branche als Musterbeispiel für gekonnte, angemessene Öffentlichkeitsarbeit im Krisenfall. Dabei spielt die Geschwindigkeit der Reaktion eine maßgebliche Rolle. So traurig das ist: Beim Kampf gegen die Zeit kommt es nur allzu oft darauf an, die Angehörigen zu benachrichtigen, bevor die Namen - und vielleicht sogar Bilder - von Opfern in den Medien verbreitet werden. „Im Katastrophenfall muss man heute in neuen Dimensionen denken“, umschreibt Rainer W. Kemmler, Luftfahrtpsychologe bei der Lufthansa, das Problem, „wir haben es mit schnellster Kommunikations-Technologie zu tun.“ Seine Erfahrung:  „Deadline ist in 40 Minuten!“

 

 

1.000 Lufthansa-Helfer stehen bereit

 

Unternehmen, in denen Manager der Generation am Drücker sind, in der Vertuschen eine beliebte Form der Öffentlichkeitsarbeit war, gehen auch heute weniger offen an ein Unglück heran. Sie befürchten, dass Information als Schuldeingeständnis gewertet wird. Kemmler: „Wer dagegen zugibt, dass etwas passiert ist, auch ohne die Ursache für das Unglück zu kennen, hat schon die erste Stufe des Vertrauens erreicht!“

 

Bei solchen Postulaten weiß Kemmler, wovon er spricht. Schließlich hält sein Hauptarbeitgeber  - nebenberuflich ist er auch für crisadvice tätig -  nicht weniger als 1.000 gut ausgebildete Helfer für den Ernstfall in Reserve. Außerdem können noch die weltweit acht Call Center der Lufthansa wichtige Kommunikationsaufgaben übernehmen.

 

Damit folgt der Kranich-Carrier einer Entwicklung, die in den USA schon vor sechs oder acht Jahren eingesetzt hat. Wegen der verschärften Produkthaftung, die zulässt, dass Betroffene in Millionenhöhe klagen können, haben sich US-Airlines dazu entschlossen, Betroffene eines Unglücks persönlich zu betreuen. „Dazu braucht man im Einzelfall eine Menge Leute“, sagt Kemmler, „und wiederum sind die eigenen Leute am besten geeignet.“ American Airlines als Schrittmacher hat als erster Carrier ein „Care Team“ von 600 Mitarbeitern ausgebildet, eine - wie Kemmler betont - „interne Serviceleistung“.

 

 

Signal aus Amerika

 

Als sich Präsident Clinton nach zwei verheerenden Flugzeug-Unglücken höchstpersönlich in die Debatte einschaltete und den Gesetzgeber zu strengeren Auflagen für die Airlines drängte, wurde es auch für ausländische Carrier ernst: Jede Gesellschaft, die ein Ziel in den USA anfliegt, muss ein Krisenkonzept vorweisen können. So sind die ausländischen Carrier beispielsweise verpflichtet, im Falle eines Unglücks in den USA die Kosten für den Transport der Opfer-Angehörigen zur Unfallstelle zu übernehmen.

 

„Das war für die Europäer ein Signal, es den Amerikanern gleichzutun“, sagt Kemmler. Europäische Airlines hatten zwar schon immer irgendwelche Krisenkonzepte, aber nicht in diesem Ausmaß. Kemmler: „Früher bestand ein Krisenteam aus 50 Leuten.“ Bei einem Unglück mit 350 Betroffenen benötigt man aber „das Dreifache an Krisenpersonal!“

 

Schrecken Großlösungen in ihrer Perfektion nicht kleinere und mittlere Firmen ab? Die Zahlen sind dazu geeignet. „Ein Experte kostet vier- bis fünftausend Mark am Tag“, rechnet Peter Höbel vor, „damit kommt man aber nicht weit, es werden mindestens vier bis fünf gebraucht“. Dieses Aufgebot muss „drei Tage bis eine Woche“ vorgehalten werden - da entstehen schnell Kosten in Höhe von 100.000 bis 200.000 Mark.

 

 

Oberstes Gebot: Seriosität

 

„Bei kleineren Unternehmen geht das rasch an die Existenz“, schätzt Reiner W. Kemmler. Er stellt zur Diskussion, dass sich mehrere Unternehmen zusammentun, um fundiertes Krisenmanagement bereits im Vorfeld einer Krise zu betreiben. Genau hier greift auch die Versicherungslösung der TAS. Völlig unabhängig von den materiellen Schäden im Falle eines Unglücks, die durch normale Versicherungen abgedeckt sind, deckt sie für versicherte touristische Leistungsträger die Kosten für erforderliche Experteneinsätze. Mehr noch: Sie sorgt dafür, dass überhaupt „Experten aus verschiedenen Bereichen betroffenen Unternehmen zur Seite stehen und sie zum Beispiel bei der Betreuung von Angehörigen und beim Dialog mit der Öffentlichkeit unterstützen“ (von Dörnberg). Hier arbeitet die TAS eng mit dem Unternehmen crisadvice zusammen, das in der Branche einen untadeligen Ruf genießt. Ihre Erfolge dürfen solche Unternehmen nicht an die große Glocke hängen. „Oberstes Gebot ist Seriosität!“ betont Peter Höbel, „wir arbeiten im Sinne der Angehörigen im Hintergrund.“

 

Last but not least muss noch auf zwei in der Branche kursierende Missverständnisse aufmerksam gemacht werden, die auch auf der DRV-Tagung in Marbella zur Sprache kamen: Ein Busunfall mit mehreren Schwerverletzten darf nicht, wie es ein Unternehmer tat, als „harmlos“ bezeichnet werden, weil die Presse keinen Wind davon bekommen hatte. Art und Umfang der Berichterstattung sind kein Maßstab für die Traumatisierung der Opfer und ihrer Angehörigen. Eine unseriöse Berichterstattung verstärkt diese höchstens. Auch warnen Experten davor, Unglücke wie die Notlandung des Hapag-Lloyd-Jets in Wien zu verharmlosen, weil niemand ernsthafte äußere Verletzungen davongetragen hat. Die Todesangst, die die Passagiere durchlebt haben müssen, kann sich nach Expertenmeinung noch jahrelang auswirken.

 

Dass touristische Leistungsträger hier am Ball bleiben und die Opferbetreuung mitunter jahrelang fortsetzen müssen, versteht sich eigentlich von selbst. Vor allem dann, wenn - wie von allen Experten in Marbella gefordert - „Krisenmanagement als Bestandteil zum Quality-Management“ gehört.

 

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